Es gibt Grund zur Zuversicht

 

Man wagtes kaum mehr, von der Welt da draussen Kenntnis zu nehmen. Die Welt scheint sich jäh in einen garstigen Wohnraum verwandelt zu haben. Wohin man schaut, zeigen sich Krisen, Konflikte, Kriege und Katastrophen. Man mochte mit Hamlet ausrufen: Die Zeit ist aus den Fugen! Manche stürzen sich in den Konsumrausch, um die düstere Lage vergessen zu machen; andere ziehen sich in die eigenen vier Wände zurück, wo sie unberührt vom Wüten des Weltgeschehens ihr Leben führen; wiederum andere flüchten sich in die Nostalgie und ziehen sich Fernsehserien aus den 1990er-Jahren rein, als die Welt mutmasslich noch in Ordnung war. Und einige fragen sich: Erleben wir tatsachlich eine apokalyptische Zeit oder glauben wir dies nur?

 

Natürlich kann man den Bad News eine Menge Good News entgegensetzen: Den Menschen geht es immer besser, in der westlichen Welt noch mehr als anderswo. Wir leben gesünder, werden älter, sind so wohlhabend, dass wir an Über- statt an Untergewicht leiden. Im gesellschaftlichen Miteinander herrschen so viel Verständnis und Toleranz, dass wir mit Abhandlungen über die allerletzten angeblichen Diskriminierungen ganze Bibliotheken füllen. Kriege nehmen in der Tendenz nicht zu, sondern ab. Es gibt weltweit mehr Demokratien als vor 50 Jahren. Wir reisen so viel wie noch nie, sind besser gebildet als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit und haben so viel Wahlfreiheit wie noch nie. Ist also doch alles gut?

 

Diese gut belegten Fakten überzeugen viele nur bedingt. Das apokalyptische Denken ist zuweilen stärker als alle faktische Vernunft. In der Apokalypse geht es um alles oder nichts, auf dem Spiel steht nichts weniger als die Zukunft der Menschheit. Was, wenn die Menschheit wegen Klimakollaps, Atomkrieg oder böser künstlicher Intelligenz morgen ausgelöscht wird? Was, wenn uns tatsächlich das Ende aller Enden droht?

 

So unreligiös vor allem unsere westlichen Gesellschaften anmutet, so religiös ist doch dieses Gefühl, das viele Diskussionen prägt. Sollte der Menschheit in diesen Szenarien das Ende bevorstehen, wäre es paradoxerweise der Mensch selbst, der ihr ein Ende bereitete. Der Mensch würde mithin Gott spielen und über die Menschheit richten. Dies scheint mir in der Tat der springende Punkt dieses Gefühls zu sein, wo-nach das Ende aller Tage nahe: Wir imaginieren unser nahes Ende - und überhöhen uns damit selbst. In der Furcht vor dem eigenen Ende bestaunen wir in Wahrheit bloss die eigene angebliche Allmacht - wir geniessen gleichsam die Fantasie des eigenen Untergangs. Dabei weiss der Mensch längst nicht immer, was er tut, und darum weiss er auch nicht, was die Zukunft bringt. Der neuerdings anschwellende katastrophische Ton in politischen Diskussionen wäre dann - theologisch gesprochen - mehr Ausdruck einer gottesfernen Gegenwart denn Prophezeiung einer menschenfreien Zukunft, Weihnachten ist eine Zeit des Innehaltens und des Neuanfangs. Den apokalyptischen Ton können wir uns schenken. Die Menschheit dürfte uns so schnell nicht abhandenkommen. Und es besteht begründete Hoffnung, dass es vielen Menschen auch weiterhin noch besser gehen wird. Grund genug, trotz allem zuversichtlich ins neue Jahr zu starten

 

Übermorgen ist Weihnachten, das Fest von Jesu Geburt. Der Skandal der Weihnachtserzählung besteht darin, dass Gott sich kleinmachte, um sich den Menschen zu offenbaren. Im Lukas-Evangelium heisst es: Maria bringt ihren Sohn in Bethlehem zur Welt, «wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie». Für Gott, der nach dem Neuen Testament Fleisch und damit Mensch wurde, reicht ein Stall als Behausung. Die Erzählung von der Menschwerdung Gottes setzt einen Kontrapunkt zur Selbstvergottung des Menschen. Was für ein Gedanke!

 

Ein Kommentar von René Scheu.

Er ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.

 

Kontaktaufnahme Bitte um Kontakt oder info@scheidegger-partner.com

Scheidegger & Partner · Personal- und Unternehmensberatung · Kirchweg 8 · CH-8414 Buch am Irchel
© 2025 · Datenschutz, Haftung, AGB Tel +4152 318 1929 · info@scheidegger-partner.com · www.scheidegger-partner.com